Shakespeare Jahrbuch 2016
Shakespeares Helden und Heldinnen
“Was das Vergnügen am Helden und das Tragische betrifft, müssen wir die bloße Einfühlung in den Helden Marcius hinter uns bringen, um zu einem reicheren Vergnügen zu gelangen”, schrieb Bertolt Brecht in seinem Kommentar “Über die Bearbeitung des ‘Coriolan’” (1951/52). Seine 1964 am Berliner Ensemble inszenierte Version wollte die “Tragödie des Coriolan” als “Tragödie Roms” lesbar machen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen Helden obsolet; in der aktuellen Forschung zeichnet sich jedoch ein neues Interesse am Heldentum ab, wie Barbara Korte in ihrem Überblick über “Konzeptionen des Heroischen” feststellt. Die im diesjährigen Jahrbuch versammelten Aufsätze spüren den vielschichtigen Facetten dieses Themas nach. Patrick Gray diskutiert Brutus in Julius Caesar im Spannungsfeld von Stoizismus und proto-christlichen Idealen. Ausgehend von der Figur der Celia in As You Like It setzt sich Elizabeth Mazzola dagegen mit der agency von Shakespeares Heldinnen auseinander. Andrew James Johnston analysiert Vorstellungen heroischer Zeitlichkeit anhand von Anspielungen auf Robin Hood in Shakespeares Dramen. In Christopher Wilsons Beitrag steht der Zusammenhang zwischen Musik und Heldentum – in Shakespeares Othello und der Verdi-Boito Oper – im Zentrum des Interesses. “Wie Othello spielen?” fragt Doris Kolesch und problematisiert die Darstellung schwarzer Helden auf deutschen Bühnen vor dem Hintergrund der jüngeren blackfacing-Debatte. Richard Wilson zeichnet die Suche der Shakespeare-Forscherin Frances Yates nach einem neuen Typus zivilen Heldentums nach – nicht zuletzt in Reaktion auf den Ersten Weltkrieg. Auch die letzten beiden Beiträge zeigen, wie über Shakespeare und seine Dramen kriegerische Heldendiskurse problematisiert worden sind: Paul Franssen diskutiert die Konstruktion Shakespeares als Friedensstifter im Zuge der Dreihundertjahrfeierlichkeiten von 1916. Zeno Ackermann schließlich nimmt die Renaissance von Troilus and Cressida im zwanzigsten Jahrhundert zum Ausgangspunkt, um die antiheroische Rhetorik und den Topos von der ‘Modernität’ des Stücks im “Jahrhundert des Kriegs” zu beleuchten.
Sabine Schülting
Inhalt
VORTRÄGE UND AUFSÄTZE
Shakespeares Helden und Heldinnen
Konzeptionen des Heroischen bei Shakespeare. Von Barbara Korte
The Compassionate Stoic: Brutus as Accidental Hero. By Patrick Gray
The Place of a Cousin in As You Like It. By Elizabeth Mazzola
Heroic Performance: The Multiple Temporalities of Shakespeare’s Robin Hoods. By Andrew James Johnston
Music as Aural and Symbolic Signifier of Heroic Disintegration in Othello. By Christopher R. Wilson
Wie Othello spielen? Von Doris Kolesch
The Sweet War-Man Is Dead and Rotten: Frances Yates and the Shakespearean Culture Hero. By Richard Wilson
Shakespeare, the Peacemaker: Views from the Sidelines. By Paul Franssen
“What may be digested in a play”: Troilus and Cressida und das Jahrhundert des Kriegs. Von Zeno Ackermann
“Shakespeare zu inszenieren heißt, sich rituell mit dem Nichtwissen zu konfrontieren”: Luk Perceval im Gespräch mit Christina Wald
THEATERSCHAU
Shakespeare auf deutschsprachigen Bühnen 2014 / 2015
(Gesamtredaktion: Norbert Greiner und Felix Sprang)
Romeo und Julia am Thalia Theater in Hamburg – ein Abgesang mit E-Gitarren und Lichterketten (Felix Sprang)
Die Leibspeise von Richard III., aufgetischt von der Berliner Schaubühne, Macbeth, gefangen in einem Raum ohne Emotionen am Deutschen Theater, und ein Totentanz der Liebenden, Roméo et Juliette an der Deutschen Oper Berlin (Lukas Lammers und Jonas Kellermann)
Konzepttheater, bis auf die Unterhosen – Shakespeare in NRW (Sarah Briest, Jan Mosch und Roland Weidle)
Ballerei mit etlichen Schnellschüssen – Antonius und Cleopatra in München (Bastian Kuhl)
Vom Wiener Globe zur Perner Insel – Shakespeare auf Österreichs Bühnen (Ludwig Schnauder)
Modernisierter und / oder verkitschter Shakespeare in der Schweiz – Georges Delnons letzte Saison in Basel (Markus Marti)
Verzeichnis der Shakespeare-Inszenierungen, Spielzeit 2014 / 2015 (Bettina Boecker und Anna Katharina Lauber)
BÜCHERSCHAU
(Gesamtredaktion: Ralf Hertel und Stephan Laqué)
Environmental Shakespeare
Gwilym Jones, Shakespeare’s Storms; Charlotte Scott, Shakespeare’s Nature: From Cultivation to Culture; Leah Knight, Reading Green in Early Modern England; Christoph Singer, Sea Change: The Shore from Shakespeare to Banville (D. Brayton)
Shakespearean Politics
Christopher Pye, The Storm at Sea: Political Aesthetics in the Time of Shakespeare; Alex Schulman, Rethinking Shakespeare’s Political Philosophy: From Lear to Leviathan; Garry Wills, Making Make-Believe Real: Politics as Theater in Shakespeare’s Time (T. Burns)
Girls, Whores and Heroines
Lori Leigh, Shakespeare and the Embodied Heroine: Staging Female Characters in the Late Plays and Early Adaptation; Kay Stanton, Shakespeare’s ʻWhoresʼ: Erotics, Politics, and Poetics; Deanne Williams, Shakespeare and the Performance of Girlhood (V. Richter)
Classical Shakespeare
Colin Burrow, Shakespeare & Classical Antiquity; Lisa S. Starks-Estes, Violence, Trauma, and Virtus in Shakespeare’s Roman Plays and Poems: Transforming Ovid (P. Innes)
Shakespeare’s Celtic Fringes
Willy Maley / Rory Loughnane eds., Celtic Shakespeare: The Bard and the Borderers; Marisa R. Cull, Shakespeare’s Princes of Wales: English Identity and the Welsh Connection (K. Sandrock)
Reformation Shakespeare
Claudia Richter, The Calvinesque: An Aesthetics of Violence in English Literature after the Reformation; Christina Wald, The Reformation of Romance: The Eucharist, Disguise, and Foreign Fashion in Early Modern Prose Fiction (Z. Ackermann)
Einzelrezensionen
Alan Galey, The Shakespearean Archive: Experiments in New Media from the Renaissance to Postmodernity (A. Vine)
Ruben Espinosa / David Ruiter eds., Shakespeare and Immigration (C. Lemke)
Alfred Thomas, Shakespeare, Dissent, and Cold War (M. Gibinska)
Ángel-Luis Pujante / Juan F. Cerdá eds., Shakespeare en España: Bibliografía anotada bilingüe / Shakespeare in Spain: An Annotated Bilingual Bibliography (B. Engler)
Jennifer Ann Bates / Richard Wilson eds., Shakespeare and Continental Philosophy (S. Laqué)
Vernon Guy Dickson, Emulation on the Shakespearean Stage (I. Lichterfeld)
Quentin Skinner, Forensic Shakespeare (A. Zurcher)
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BERICHTE
Tätigkeitsbericht der Präsidentin (Frühjahr 2015). Von Claudia Olk
Helden und Heldinnen bei Shakespeare: Shakespeare-Tage in Berlin, 23.–26. April 2015. Von Jonas Kellermann
Macht, Intrigen, Krisen und Skandale – The Bard will teach you: Shakespeare-Tagung am 30. und 31. Oktober 2015 auf der Wolfsburg (Mühlheim). Von Maria Eisenmann und Vanessa Schormann
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