Shakespeare Jahrbuch 2020
Übersetzung
“Gilt eine Übersetzung den Lesern, die das Original nicht verstehen?” fragt Walter Benjamin und argumentiert, dass dieses Verständnis zu kurz greift. Zwar “überdauert” das “fremde Wort” in der Übersetzung, aber dabei verändert es sich zwangsläufig. Die in diesem Jahrbuch versammelten Aufsätze setzen hier an, wenn sie Übersetzungen nicht nur als linguistische, sondern als komplexe kulturelle, historische und mediale Übertragungsprozesse verstehen. Für das England um 1600 ist eine starke Zunahme von interlingualen Übersetzungen zu verzeichnen, die für Andreas Mahler den Epochenbruch zur Frühen Neuzeit markiert. Gabriela Schmidt schlägt vor, die Figur des Prospero als Typus des humanistischen Übersetzers zu lesen. Eine Reihe von Beiträgen betrachtet die Besonderheiten und Funktionen von Shakespeare-Übertragungen in ihren jeweiligen Zielsprachen und ‑kulturen: für die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Deutschland in Thomas Manns Doktor Faustus (Norbert Greiner), für das Selbstverständnis des kolonialen Hong Kong in Richard Hos Hamlet: Sword of Vengeance (Miriam Leung Che Lau) und mit Blick auf portugiesische Übertragungen der sexualisierten Anspielungen auf Venus (Rui Carvalho Homem). Übersetzungen bringen Sprachen und Kulturen in einen vielschichtigen Dialog, wie Karen Newman anhand des Programmhefts zum Besuch einer englischen Theatertruppe in Paris (1827) und Eleine Ng-Gagneux für Ong Keng Sens multilinguistische Adaption Lear Dreaming (2012) zeigen. Benjamins Betrachtungen zur “Nachreife” des Originals in der Übersetzung sind für Elisabeth Bronfens Überlegungen zum “Aufflackern” von Shakespeare in zeitgenössischen amerikanischen TV-Serien maßgeblich. Aus Anlass des 125. Geburtstags des Shakespeare-Übersetzers Hans Rothe zeichnet der Beitrag von Tobias Döring die Angriffe der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft auf dessen Werk nach – während der Zeit des Nationalsozialismus und in der frühen Bundesrepublik. In einem abschließenden Forum äußern sich deutsche ÜbersetzerInnen zu der Herausforderung, Shakespeare zu übersetzen.
Sabine Schülting
Inhaltsverzeichnis
Aufsätze: Übersetzung
Translation from/into/in Culture (Shakespeare and the ‘Early Modern’) (Andreas Mahler)
“His word is more than the miraculous harp”: Übersetzung und Magie in The Tempest (Gabriela Schmidt)
Ein faustischer Pakt mit Shakespeare: Die Übertragung Shakespeare’scher Werkkomplexe in Thomas Manns Doktor Faustus (Norbert Greiner)
Adapting Hamlet in Colonial Hong Kong: Richard Ho’s Hamlet: Sword of Vengeance (Miriam Leung Che Lau)
Cross-Border Desires: on Shakespeare, Venus and Intercultural Challenges (Rui Carvalho Homem)
Souvenirs du Théâtre Anglais à Paris: Shakespeare, Translation, Performance (Karen Newman)
Beyond Words: Performing Translation in Ong Keng Sen’s Intercultural Lear Dreaming (Eleine Ng-Gagneux)
Intermediale Übersetzbarkeit: Shakespeares Nachreife im zeitgenössischen seriellen TV-Drama (Elisabeth Bronfen)
Höllenwut und Zaubermühn: Vom Streitwert des Übersetzens: Zum 125. Geburtstag von Hans Rothe (Tobias Döring)
Forum
Kleine Propädeutik eines Shakespeare-Übersetzers (Klaus Reichert)
Freiraum und Wortkulisse (Elisabeth Plessen)
Does this give life to thee? Und ist das Poesie? (Christa Schuenke)
“Der Text muss einen anderen Körper finden”: Heiner Müller über das Übersetzen von Shakespeare (Lawrence Guntner, Andrew McLean, mit B. K. Tragelehn)
Theaterschau
Shakespeare auf deutschsprachigen Bühnen 2018/2019
(Gesamtredaktion: Norbert Greiner und Felix Sprang)
Instabile Herrscherfiguren im Norden: Zwischen nuanciertem Psychogramm und autoritärer Pose (Ute Berns, Stephan Karschay, Benjamin Kohlmann, Anca-Raluca Radu)
Abgefärbt: Othello am Berliner Ensemble: Wie die Mutter, so die Tochter? – Das Globe Ensemble Berlin spielt Romeo und Julia (Lukas Lammers, Jonas Kellermann)
Von Idealisten und Fatalisten: Shakespeares einsame Masken- und Machtspieler in NRW (Sarah Briest, Jan Mosch, Roland Weidle)
Von Applaus-O-Metern, Selbstmorden und falschen Helden: Theaterschau Österreich 2018/19 (Ludwig Schnauder)
Auftragswerke und Abschiedsinszenierung: Shakespeare auf der Basler und Zürcher Bühne (Johanna Schüpbach)
Verzeichnis der Shakespeare-Inszenierungen der Spielzeit 2017/2018 (Bettina Boecker, Marietta Wenning und Johanna Stowasser)
Bücherschau
(Gesamtredaktion: Stephan Laqué und Lena Steveker)
Shakespeare BC
Virginia Mason Vaughan, Shakespeare and the Gods; Jonatan Bate, How the Classics Made Shakespeare (Lena Steveker)
Shakespeare and Gender Difference
Patricia Akhimie and Bernadette Andrea eds., Travel & Travail: Early Modern Women, English Drama, and the Wider World; Paige Martin Reynolds, Performing Shakespeare’s Women: Playing Dead (Kirsten Sandrock)
Shakespeare and Postcolonial Difference
Patricia Akhimie, Shakespeare and the Cultivation of Difference: Race and Conduct in the Early Modern World; Jyotsna G. Singh, Shakespeare and Postcolonial Theory (Cordula Lemke)
Einzelrezensionen
Eric Langley, Shakespeare’s Contagious Sympathies: Ill Communications (Gigi Adair)
Peter W. Marx, Hamlets Reise nach Deutschland: Eine Kulturgeschichte (Hansjürgen Blinn)
Lieke Stelling, Religious Conversion in Early Modern English Drama (Paul Edmondson)
Neil Forsyth, Shakespeare the Illusionist: Magic, Dreams, and the Supernatural on Film (Claude Fretz)
Jeffrey Kahan, Shakespeare and Superheroes (Rudolph Glitz)
Daniela Carpi and François Ost eds., As You Law It – Negotiating Shakespeare (Susanne Gruss)
Stephen Greenblatt, Tyrant: Shakespeare on Politics (Julián Jiménez Heffernan)
Tzachi Zamir ed., Shakespeare’s Hamlet: Philosophical Perspectives (Stephan Laqué)
Franziska Walter, Meisterhaftes Übersetzen: Stefan Georges Übersetzung der Sonette Shakespeares (Franziska Merklin)
Zeno Ackermann and Sabine Schülting, Precarious Figurations: Shylock on the German Stage, 1920–2010 (Emily Oliver)
Balz Engler, Constructing Shakespeares: Essays on the Making of a Great Author (Enno Ruge)
T. Sofie Taubert, Die Szene des Wunderbaren: Die Shakespeare-Elfen im Wechselspiel von Musik und Maschine (Susanne Rupp)
Karoline Johanna Baumann, The Stage as Palimpsest: Conceptions of Time and Temporality in Shakespeare’s ‘Troilus and Cressida’ and ‘The Two Noble Kinsmen’ (Johannes Schlegel)
David Schalkwyk, Shakespeare, Love and Language (Felix Sprang)
Genevieve Love, Early Modern Theatre and the Figure of Disability (David Houston Wood)
Berichte
Tätigkeitsbericht der Präsidentin (Frühjahr 2019) (Claudia Olk)
“Shakespeare und Übersetzung”: Shakespeare-Tage in Weimar, 26. – 28. April 2019 (Jonas Kellermann)
“Shakespeare and Translation”: Shakespeare Academy in Weimar, 25.-26. April 2019 (Emily Aline Anderson, Veruschka Haas)
Nachrufe
Zum Gedenken an Robert Weimann (1928–2019)
Zum Gedenken an Wolfgang Weiß (1932–2019)
Von Shanghai bis Berlin – zum Tod des Weltbürgers und Shakespeare-Übersetzers Maik Hamburger (1931 – 2020)
Register
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Martin-Lehnert-Preis