Shakespeare Jahrbuch 2017
Shakespeare’s ‘Green Worlds’
“Are not these woods / More free from perils than the envious court?”, fragt Duke Senior zu Beginn des zweiten Aktes von As You Like It. Doch der Schein trügt, denn der ‘Forest of Ardenne’ eröffnet keine pastorale Gegenwelt jenseits von Gewalt und Gefahr. Shakespeares ‘grüne Welten’ erweisen sich stattdessen als komplex strukturierte Räume, über die philosophische Fragen ebenso wie soziale, politische und ökonomische Konflikte verhandelt werden. Am radikalsten gestaltet sich der Bruch mit pastoralen oder biblischen Vorstellungen von der Welt als Garten wohl in King Lear, dem Stück, dessen epistemologischen und ästhetischen Implikationen Christopher Pyes Aufsatz nachspürt. Mit Shakespeares Pflanzenwelt beschäftigen sich die Aufsätze von Felix Sprang und Stefan Schneckenburger. Unter anderem mit Bezug auf Hamlet zeichnet Sprang frühneuzeitliche proto-taxonomische Überlegungen und ihre Auswirkungen auf das Denken einer Analogie von Mensch und Pflanze nach. Auch Schneckenburger diskutiert zeitgenössisches Pflanzenwissen und lotet seine Relevanz für die Bedeutungsstiftung in King Lear aus. Die nächsten zwei Beiträge verschieben den Fokus und diskutieren Shakespeares Stücke aus der Perspektive neuerer Theorien und Ansätze (Ecocriticism, Actor-Network-Theory) sowie im Kontext der Debatten um das Anthropozän. Todd Andrew Borlik erörtert in seiner Lektüre von 1 Henry IV den Zusammenhang von klimatischem, sozialem, politischem und technologischem Wandel im späten 16. Jahrhundert. Am Beispiel des Sturms reflektiert Ute Berns die Implikationen von The Tempest für die gegenwärtige Infragestellung etablierter Naturvorstellungen und historischer Periodisierungen. Um The Tempest geht es auch im abschließenden Beitrag von Jonathan Gil Harris, der dem Shakespeare Stück das in Goa verfasste Epos Kristapurana des englischen Jesuiten Thomas Stephens gegenüberstellt und nach der Bedeutung der alltäglichen Nuss für das Verständnis von frühneuzeitlichen Kulturkontakten fragt.
Sabine Schülting
Inhalt
VORTRÄGE UND AUFSÄTZE: SHAKESPEARES ‘GREEN WORLDS’
Green World / No World: King Lear, Ecocriticism and the Politics of Finitude. By Christopher Pye
“Seh’ ich der Pflanze gleich den Mensch erstehn”: Mensch-Pflanze-Analogien und Pflanzenwissen bei Shakespeare. Von Felix Sprang
Königliches Unkraut: Lears Pflanzenwelt. Von Stefan Schneckenburger
Uncolting Falstaff: The Oats Complex and Energy Crisis in 1 Henry IV. By Todd Andrew Borlik
The Tempest in the Anthropocene: Preliminary Reflections. By Ute Berns
Shakespeare’s Nuts: Early Modern Nuxology and the Edible Contact Zone. By Jonathan Gil Harris
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Weißer Rabe, schwarzer Prinz: Hamlet im Nachkriegsdeutschland. Von Andreas Höfele
Miszellen
Die Dichter und ihr Architekt: Günter Plessow rekonstruiert elisabethanische Sonettzyklen. Von Ina Schabert
“Shakespeare is a cultural journey into the human psyche”: An Interview with George Tabori (1990). By Lawrence Guntner
THEATERSCHAU
Shakespeare auf deutschsprachigen Bühnen 2015 / 2016 (Gesamtredaktion: Norbert Greiner und Felix Sprang)
Wutbürger und Metasturm: Oberflächenphänomene im Norden (Felix Sprang)
“All for your delight”: Politik und Plattitüden an Rhein und Ruhr (Sarah Briest, Jan Mosch und Roland Weidle)
“ʻI am not what I amʼ: Versuche der (postmigrantischen) Dekonstruktion in Berlin” (Jonas Kellermann und Lukas Lammers)
Krawall, Klamauk und Paraphrase: Zweimal Hamlet im Südwesten (Bernd Hirsch)
Shylock als Textfläche: Der Kaufmann von Venedig in München (Bastian Kuhl)
Fantasievoll und experimentierfreudig: Theaterschau Österreich 2015/16 (Ludwig Schnauder)
Diese schottische Oper – in der Schweiz (Markus Marti)
Verzeichnis der Shakespeare-Inszenierungen, Spielzeit 2015 / 2016 (Bettina Boecker und Anna Katharina Lauber)
BÜCHERSCHAU
(Gesamtredaktion: Ralf Hertel und Stephan Laqué)
Early Modern Emotions
R. Meek / E. Sullivan eds., The Renaissance of Emotion: Understanding Affect in Shakespeare and his Contemporaries; S. Mullaney, The Reformation of Emotions in the Age of Shakespeare; E. Sullivan, Beyond Melancholy: Sadness and Selfhood in Renaissance England (F. Sierhuis)
Playing with Religion
D. K. Anderson, Martyrs and Players in Early Modern England: Tragedy, Religion and Violence on Stage; B. Cummings, Mortal Thoughts: Religion, Secularity and Identity in Shakespeare and Early Modern Culture; D. Loewenstein / M. Witmore eds., Shakespeare and Early Modern Religion (C. Lemke)
Historical – Political – Philosophical
K. M. S. Bezio, Staging Power in Tudor and Stuart English History Plays: History, Political Thought, and the Redefinition of Sovereignty; I. Karremann, The Drama of Memory in Shakespeare’s History Plays; H. Berger, Jr., Harrying: Skills of Offense in Shakespeare’s Henriad; L. H. Craig, The Philosopher’s English King: Shakespeare’s Henriad as Political Philosophy (L. Lammers)
The Texts of Hamlet
T. Bourus, Young Shakespeare’s Young Hamlet: Print, Piracy, and Performance; M. Jolly, The First Two Quartos of Hamlet: A New View of the Origins and Relationship of the Texts; Z. Lesser, “Hamlet” after Q1: An Uncanny History of the Shakespearean Text (I. Berensmeyer)
Beyond the Canon
D. McInnis / M. Steggle eds., Lost Plays in Shakespeare’s England; P. Kirwan, Shakespeare and the Idea of the Apocrypha: Negotiating the Boundaries of the Dramatic Canon (L. Erne)
Shakespeare on Screen
R. Jackson, Shakespeare and the English-Speaking Cinema; J. Henke, Unsex Me Here: Gender und Raum im zeitgenössischen Shakespeare-Film (J. N. Schmidt)
Einzelrezensionen
T. Döring / E. Fernie eds., Thomas Mann and Shakespeare: Something Rich and Strange (S. Keppler-Tasaki)
A. Hansen / K. J. Wetmore, Jr. eds., Shakespearean Echoes (J. Frenk)
J. J. Heffernan, Shakespeare’s Extremes: Wild Man, Monster, Beast (K. Wiegandt)
P. Innes, Shakespeare’s Roman Plays (R. Hertel)
A. J. Johnston / R. West-Pavlov / E. Kempf eds., Love, History and Emotion in Chaucer and Shakespeare: Troilus and Criseyde and Troilus and Cressida (H. Cooper)
A. Kiséry, Hamlet’s Moment: Drama and Political Knowledge in Early Modern England (D. Callaghan)
V. O. Lobsien, Shakespeares Exzess: Sympathie und Ökonomie (S. Laqué)
R. Wilson, Worldly Shakespeare: The Theatre of Our Good Will (W. Chernaik)
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BERICHTE
Tätigkeitsbericht der Präsidentin (Frühjahr 2016). Von Claudia Olk
Shakespeare’s Green Worlds: Shakespeare-Tage in Bochum, 22.–24. April 2016. Von Jonas Kellermann
Shakespeare’s Endgames – Poetiken des Schlusses: Herbsttagung in Weimar, 25.–26. November 2016. Von Jonas Kellermann
Durch die Blume. In Shakespeares Garten: Eine Ausstellung zum vierhundertsten Todestag stellt die Pflanzen in seinem Werk vor. Von Andreas Rossmann
Register
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