Shakespeare Jahrbuch 143 (2007)
Gewalt und Terror
Gewalt und Terror sind nicht erst seit den jüngsten terroristischen Anschlägen Themen von Kunst und Literatur, sondern bereits im Theater der Shakespeare-Zeit allgegenwärtig. Die Grausamkeiten, die Willkür, die Drohungen, unter denen die Figuren auf der Bühne leiden, lassen sich zu den frühneuzeitlichen Debatten um Politik, Religion, Ehe und Sexualität in Beziehung setzen, werfen aber auch grundsätzliche Fragen nach der Repräsentation von Gewalt auf. Richard Wilson liest Macbeth als ein Stück über den Terror des Staates, in dem James I. mit den Grundlagen seiner eigenen Herrschaft konfrontiert wird. Naomi Conn Liebler versteht die Tragödie über Lears Leiden an der Erbarmungslosigkeit seiner “pelican daughters” als Anatomie der Zivilisation, in der “eine latente Tiefenschicht an Grausamkeit” (Artaud) hervorbricht. Am Beispiel von Marlowes Tamburlaine diskutiert Claudia Richter literarische Gewaltphantasien im Zusammenhang mit den Gottesvorstellungen des Calvinismus. Doch nicht nur die Tragödie zeigt die Opfer von Gewalt. William Leahy analysiert die Repräsentation des gemeinen Volkes in Henry VI, Part 2, das unter Terror und Gewalt zu leiden hat. Rainer Emig versteht das weibliche Schweigen in den Komödien nicht als Unterwerfung unter die männliche Androhung von Gewalt, sondern als Form des Widerstandes. Veronika Pohligs Perspektive auf die Geschlechterkonflikte in den Komödien ist eine andere, schlägt sie doch vor, das Handeln von Francis Ford in The Merry Wives of Windsor als eine im Kontext frühneuzeitlicher Männlichkeitskonstrukte legitime Form von Gewaltausübung zu begreifen. Die Aufsätze von Pascale Aebischer und Elisabeth Bronfen verbinden schließlich Frühe Neuzeit und Gegenwart, Shakespeares Dramen und das zeitgenössische Kino. Aebischer plädiert dafür, die Parallelen zwischen Tragödie und Horrorfilm für die Analyse der Shakespeare-Dramen produktiv zu machen. Ausgehend von David Cronenbergs A History of Violence argumentiert Bronfen, daß die Inszenierung von Gewalt als Auslagerung persönlicher Gewaltphantasien begriffen werden kann. Repräsentationen von Gewalt – so die beunruhigende Schlußfolgerung – sind von zentraler Bedeutung für unser Vergnügen am Kino wie am Theater.
Inhaltsverzeichnis Band 143 (2007)
Vorträge und Aufsätze
Gewalt und Terror
- “Blood will have blood”: Regime Change in Macbeth. By Richard Wilson
- Pelican Daughters: The Violence of Filial Ingratitude in King Lear. By Naomi Conn Liebler
- Performing God’s Wrath: Tamburlaine, Calvinismand the Phantasmata of Terror. By Claudia Richter
- “For pure need”: Violence, Terror and the Common People in Henry VI, Part 2. By William Leahy
- Terror und Verstummen: Gewalt und Widerstand in Shakespeares Komödien. Von Rainer Emig
- “These Violent Proceedings” – Francis Ford’s ‘Frenzy’ and the Pains of Governing Merry Wives. By Veronika Pohlig
- Vampires, Cannibals and Victim-Revengers:Watching Shakespearean Tragedy through Horror Film. By Pascale Aebischer
- Extimate Violence: Shakespeare’s Night World. By Elisabeth Bronfen
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- Presented Representation – Intermedial Go-Betweens on the Shakespearean Stage. By Andreas Mahler
Shakespeare im Unterricht
- Shakespeare im Englischunterricht: Ein aktueller Überblick. Von Roland Petersohn und Laurenz Volkmann
Miszelle
- Tom, Dick and … Jack in the OED and in “Sonnet 128”. By Regula Hohl Trillini
Theaterschau – Shakespeare auf deutschsprachigen Bühnen 2005/2006 (Gesamtredaktion: Norbert Greiner)
- “Jeder Hengst kriegt seine Stute. Alles Gute.” Bizarre Adaptionen, gewagt – bisweilen gewollt, auf norddeutschen Bühnen (Felix Sprang und Nina Stedman)
- Zeitgenossen: Theater im Osten (Maik Hamburger)
- “O shame, where is thy blush?” Nacktarbeit und andere Einfälle auf den NRW-Bühnen (Claus Clemens)
- Die Lust am Spiel – Shakespeare auf Österreichs Bühnen (Holger Klein)
- Vom Gehört- und Gesehenwerden – auf Schweizer Bühnen (Markus Marti)
- Verzeichnis der Shakespeare-Inszenierungen, Spielzeit 2005/06
Bücherschau (Gesamtredaktion: Tobias Döring und Joachim Frenk)
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The History of Violence: Zur Aktualität des Tragischen
R. Bushnell ed., A Companion to Tragedy; A. Leggatt, Shakespeare’s Tragedies: Violation and Identity; W. M. Hamlin, Tragedy and Scepticism in Shakespeare’s England; S. Laqué, Hermetik und Dekonstruktion: Die Erfahrung von Transzendenz in Shakespeares Hamlet (M. Pfister)
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Last Action Hero: Neues von Hamlet
Hamlet, ed. by A. Thompson and N. Taylor; Hamlet: The Texts of 1603 and 1623,ed. by A. Thompson and N. Taylor; Hamlet. Englisch-deutsche Studienausgabe von N. Greiner und W. G. Müller (L. Erne)
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Mission Impossible: Dienst ist Dienst
D. Evett, Discourses of Service in Shakespeare’s England; G. Bradshaw / T. Bishop eds., The Shakespearean International Yearbook; J. Weil, Service and Dependency in Shakespeare’s Plays (D. Fuchs
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Kill Bill: Was und wie mit Shakespeare anfangen?
L. Hopkins, Beginning Shakespeare; T. Kullmann, William Shakespeare: Eine Einführung; S. Palfrey, Doing Shakespeare (M. Windisch); S. Laqué / E. Ruge eds., Realigning Renaissance Culture: Intrusion and Adjustment in Early Modern Drama; A. Höfele / W. von Koppenfels eds., Renaissance Go-Betweens: Cultural Exchange in Early Modern Europe (M. T. Burnett); C. Jansohn ed., In the Footsteps of William Shakespeare (B. Gibbons)
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Alien: Transkulturelle und transmediale Rezeption
C. R. Daileader, Racism, Misogyny, and the Othello Myth: Inter-racial Couples from Shakespeare to Spike Lee; M. Dimmock, New Turkes: Dramatizing Islam and the Ottomans in Early Modern England; V. M. Vaughan, Performing Blackness on English Stages, 1500-1800 (A. Stock); M. Orkin, Local Shakespeares: Proximations and Power; N. Schaffeld ed., Shakespeare’s Legacy: The Appropriation of the Plays in Post-Colonial Drama; S. Massai ed., World-Wide Shakespeares (C. Balme); H. R. Coursen, Shakespeare Translated: Derivatives on Film and TV; S. Kossak, “Frame My Face to All Occasions”: Shakespeare’s Richard III on Screen; S. Hatchuel, Shakespeare, from Stage to Screen (I. Habermann)
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Die Hard: Leichen, Fetisch, Begehren und Ansteckung
H. M. Nunn, Staging Anatomies: Dissection and Spectacle in Early Stuart Tragedy; S. Zimmerman, The Early Modern Corpse and Shakespeare’s Theatre (J. Frenk); D. Williams, The French Fetish from Chaucer to Shakespeare (E. Bettinger); D. A. Walen, Constructions of Female Homoeroticism in Early Modern Drama (S. Mieszkowski); C. L. Carlin ed., Imagining Contagion in Early Modern Europe; T. Pollard, Drugs and Theater in Early Modern England (S. Baumbach)
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Total Recall: Politik und Vergessen
A. Hadfield, Shakespeare and Republicanism (B. Klein); C. Ivic / G. Williams eds., Forgetting in Early Modern English Literature and Culture: Lethe’s Legacies; G. A. Sullivan, Jr., Memory and Forgetting in English Renaissance Drama: Shakespeare, Marlowe, Webster (T. Döring)
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Anzeigen
Berichte
- Tätigkeitsbericht des Präsidenten (Frühjahr 2006). Von Andreas Höfele
- Gewalt und Terror bei Shakespeare – Shakespeare-Tage in Weimar, 20. – 23. April 2006. Von Dieter Fuchs
- “Kleine Herbsttagung”, 18. – 19. November 2006. Von Dieter Fuchs
- Our European Shakespeare: A Progress Report. By Ton Hoenselaars and Clara Calvo
- Erinnerungen an die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft – verbunden mit Theatererlebnissen am Bochumer Schauspielhaus vor 60 Jahren. Von Otto Hagemann
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- Register
- Über die Autorinnen und Autoren der Aufsätze und Vorträge
- Martin-Lehnert-Preis